Es war ein Sonntagvormittag. Die Sonne schien und ich genoss den beginnenden Sommer in Bristol in vollen Zügen. Mittags war ich mit Freunden am Hafen zum Mittagessen verabredet. Da man dort nicht gut parken kann, nahm ich den Bus. Sonntags fuhren nicht die normalen großen Busse, sondern so kleine schnucklige für ca. 10 Personen. Der Bus kam pünktlich, ich stieg ein und sagte höflich „Good Morning“. Der Busfahrer, ein bulliger Typ mit grimmigem Gesicht schaute mich unwirsch an und sagte in unmissverständlich ernstem Ton: „We‘ll never forgive you the war!“.

Mir war natürlich sofort klar, welchen Krieg er meinte. WW II (World War 2)  ist in UK sehr präsent und wird in jeglichen Facetten in einigen Fernsehprogrammen permanent ausgestrahlt.

Ich kann gar nicht sagen, ob ich mehr darüber geschockt war, dass er allein an meinem „Good Morning“ erkannt hatte, dass ich Deutsche bin (das kratzt am Ego), oder über diesen offensichtlich rassistischen Angriff. Für Rassismus habe ich sowas von kein Verständnis.

 

DONT’T PLAY THE GAME – RASSISMUS NEIN DANKE

Da Laufen eine Stunde gedauert hätte, war ich nicht gewillt wieder auszusteigen. Also antwortete ich, während ich mich in die letzte Reihe begab“ I wasn’t even born!“. Was ihm dann wohl auch klar war. Er zeigte keine Regung und fuhr mit weiterhin grimmigem Gesichtsausdruck in die Stadt.

Ich bin ein Kind der Siebziger. Die deutsche Geschichte ist mir natürlich nicht egal. Aber was soll ich zu Geschehnissen sagen, die so gänzlich außerhalb meines Einflussbereiches liegen? Ja, es darf sich nicht wiederholen. Wir haben es verstanden.

 

KLAR HAT MICH DAS GEÄRGERT

Klar hat mich das in dem Moment geärgert. Ziemlich sogar. Ich mag es, wenn andere Menschen zu mir freundlich sind. Und ich mag es nicht, für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, für die ich nichts kann.

Habe ich mich mit ihm angelegt? Nein. Denn ich dachte mir: Hey, es ist Sonntag, alle haben frei, er muss Bus fahren. Vermutlich kotzt ihn das ziemlich an. Vielleicht gibt es auch ein Kriegstrauma in seiner Familie, kann ja sein. Aber das hat hier nichts mit Dir zu tun. Er hat nur den vermeintlich ersten Knopf gedrückt, den er finden konnte, um seine eigene Frustration loszuwerden. Auf das Spiel steige ich nicht ein, denn ich mag meinen freien Tag genießen.

 

UMANG MIT RASSISMUS

Wenn über Rassismus geredet wird, geht es oft darum, über die eigenen Vorurteile gegenüber anderen Nationen nachzudenken. Umgang damit, wie man mit rassistischen Angriffen die der eigenen Person gelten umgeht, wird selten gesprochen. Es gibt auch keine Pauschallösung. Ich bin in einem sehr internationalen Umfeld aufgewachsen, in dem es normal war, Menschen aus aller Herren Länder zu treffen. Rassismus ist ein Konzept, das ich nicht verstehe. Das ich aber auch nicht toleriere, da es so sinnlos ist. Man kann ja nicht ändern, wo man geboren wurde.

 

DIFFERENT DAY, SAME SHIT

Ich war 20, machte eine Rucksacktour durch Schottland und übernachtete in der Jugendherberge in Edinburgh. Mit ein paar anderen Hostelbesuchern aus Südafrika, Canada und USA spielte ich abends Jenga. Das ist das Spiel mit den Holzklötzchen, die man aus einem Turm hervorziehen muss. Es war eine echt lustige Runde. Wir teilten die Freude am Spielen, Reisen und Tipps für Schottland. Aus dem Nichts schaute mich der Kanadier, ein Mann Anfang 30, an und sagte: „F*** German go home!“. Damals war ich echt geschockt. Über die Attacke, den rüden Ton und die Giftigkeit, die mir entgegenschlug. Wow!

 

HINTER RASSISTISCHEN ATTACKEN STECKT MEIST MASSIVE FRUSTRATION

Ich bin mit einem sehr feinen Gespür für Menschen geboren. Etwas, das mir heute in Beratungen sehr zugute kommt, da ich den Kern einer Situation ziemlich schnell erfasse. In dem Moment, war es jedoch eine Belästigung, die seelischen Nöte hinter dem Angriff zu sehen. Ich wollte einfach nur einen entspannten Abend mit netten Leuten. Meine Interpretation war folgende:

Der junge Mann hatte eine Hasenscharte und war dafür sicher oft gehänselt worden. Wirklich zufrieden mit sich wirkte er nicht. Vielleicht wäre er gerne bei mir gelandet, wusste aber nicht wie. Angriff als Mittel um überhaupt Aufmerksam zu bekommen. Who knows. Nicht die beste Methode jedenfalls.

 

ICH WOLLTE EINFACH EINEN ENTSPANNTEN ABEND

Wie gesagt, ich wollte einfach nur einen entspannten Abend. Also erwiderte ich in ziemlich scharfem Ton „And You have a problem with women!“. Stating the obvious.

Nein, das war nicht feinfühlig und auch nicht verbindlich. Aber es traf den Kern. Er zuckte. Heute würde ich das sanfter und souveräner machen. Mit 20 hat man diese Souveränität noch nicht. Er verstand die Message und sah von weiteren Kommentaren ab. Wir spielten weiter. War mein Abend gelaufen? You bet!

Auch wenn alle so taten, als wäre das nicht passiert, lag eine komische Stimmung in der Luft. Die von dem jungen Mann ausgehende Feindseligkeit war für mich körperlich spürbar.

 

MENTALE TECHNIKEN ZUM SELBSTSCHUTZ

Es war entsetzlich, da ich zu dem Zeitpunkt noch, anders als heute, keine mentalen Techniken zum Selbstschutz hatte. Ich habe ihn danach nie wiedergesehen und hoffe, er hat in der Zwischenzeit bessere Methoden des Chat Ups gefunden.

Das waren zum Glück die einzigen Episoden dieser Art. Mir ist auf meinen Reisen bisher primär Freundlichkeit und Interesse an meiner Sprache und Kultur begegnet.

 

WAS ICH DARAUS GELERNT HABE

1. Hinter Rassismus versteckt sich immer die eigene Unzufriedenheit und Frustration

Niemand wird gerne angegriffen. Aber es lohnt sich nicht, rassistischen Angriffen allzu viel Beachtung zu schenken oder gar in Diskussionen einzusteigen. Die Energie folgt auch hier der Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit hat der rassistische Angreifer gar nicht verdient. Der Angriff hat nichts mit einem selbst zu tun und sollte auch so behandelt werden

 2. Souverän Grenzen setzen kann man lernen

Oft fehlt uns in absurden Momenten die Möglichkeit Grenzen zu setzen. Hinterher ärgern wir uns dann. Kennen Sie das? Das Gute: Man kann Grenzen setzen lernen. Als feinfühliger Mensch beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren mit dem Thema und habe gute Methoden entwickelt, die ich meinen Kunden erfolgreich in Seminaren oder auch im 1:1 Coaching vermittle. Es gibt sehr viele Möglichkeiten zur souveränen verbalen und auch energetischen Abgrenzung, die ganz leicht anzuwenden sind. Damit gehen Ihnen die Dinge nicht zu nahe und Sie können negative Energien Ihrer Mitmenschen abblocken, wenn Sie in diesem Bereich ebenfalls sehr feinfühlig sind.

3. Auf Reisen lernt man sehr viel über Selbstschutz

Reisen bildet. Das ist echt wahr. Man wird mit so vielen neuen Situationen konfrontiert, wie sonst nie. Mir hilft die Einstellung „wie auf der schwarzen Piste, immer locker in den Knien“ und die Situationen nehmen, wie sie eben kommen. Dann das Beste daraus machen. Eine Mindest-Frage. Das kann man lernen und diese Einstellung hilft nicht nur in einer fremden Umgebung, sondern auch generell wenn’s mal nicht so läuft.

 

DIE GRENZEN DER TOLERANZ

Bei aller Toleranz darf man aber dennoch nicht vergessen, dass unterschiedliche Kulturen auch unterschiedlich ticken. Ich halte nichts von dieser zwanghaften Gleichmacherei die von den übertoleranten praktiziert wird. Auch wenn alle Menschen ähnliche Grundbedürfnisse haben (siehe Maslowsche Bedürfnis Pyramide) ticken wir allein aufgrund unserer kulturellen Werte und Sozialisierung unterschiedlich. Unterschätzt man das bei Umzug in ein anderes Land, kann der durch den Kulturschock erzeugte Aufprall ziemlich hart ausfallen. Eine gesunde Offenheit für die Unterschiede aber auch eine Bewusstheit der eigenen Wertvorstellungen ist hier wichtig. Denn die eigene Identität darf und soll man ja auch in einer anderen Kultur nicht ablegen.

Diese Gratwanderung – zwischen Anpassung an die lokalen Gegebenheiten und Bewahren der eigenen Werte – ist nicht immer einfach. Das unterschätzen viele. Ein ein- bis zweitägiges Interkulturelles Training ist hierbei auch kein Allheilmittel für alle Eventualitäten, wie oft fälschlicherweise angenommen. Denn Kultur geht sehr tief, wie das Eisbergmodell ganz deutlich zeigt.

 

UND NICHT NUR DAS

Wer als normalgebaute Mitteleuropäerin schonmal versucht hat, in Nordvietnam spontan Kleidung für eine Hochzeit zu kaufen oder in Thailand einen Rad Helm merkt, dass wir auch körperlich nicht alle gleich sind. Was ja nicht zuletzt der Forensischen Medizin zugutekommt. Ich bin nun wirklich nicht dick, aber in die für Asiatinnen genähten Kleider bekomme ich vielleicht ein Bein. Und auch Rad Helme werden speziell für den asiatischen Markt gefertigt, da Asiaten eine rundere Kopfform haben – wie mir mal ein thailändischer Radladenbesitzer erklärte. Da kann ich mich auf den Kopf stellen, die Helme spassen mir einfach nicht.

MEINE GANZ PERSÖNLICHE MEINUNG ZUM THEMA

Da wir uns nicht aussuchen können, in welches Land und Kultur wir geboren werden, finde ich Rassismus eine der unnötigsten Sachen, die es gibt. Jemanden zu diskriminieren, weil er eine andere Hautfarbe hat als ich, kommt mir nicht in den Sinn. Umgekehrt finde ich es aber auch genauso unnötig bei interpersonellen Differenzen mit einem Ausländer in Deutschland sofort als Rassist bezeichnet zu werden. Das sind so ganz billige Knöpfe, die da gedrückt werden. Hier sollte man dann doch differenzieren können.

So viel von meiner Seite.

 

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In diesem Sinne, allzeit eine gute und sichere Zeit,

Ihre Ute Schneider