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Bei Kriminalität und körperlichen Übergriffen denkt man meist an den Täter, der hinter einem Busch hervorspringt und die vorbeikommende Joggerin rücklings überfällt, zu Boden reißt und vergewaltigt. Es gibt aber noch eine andere Form des Überfalls, der ganz langsam und freundlich eingefädelt wird und meist ebenfalls sehr böse endet. Beliebte Opfer sind junge Frauen, die noch ganz unbefangen durch die Welt gehen, die Warnsignale nicht kennen, die solche Übergriffe meist begleiten und sich normalerweise in intuitivem Unwohlsein äußern. Dieses Unwohlsein wird aber oft beiseite geschoben, weil die Opfer meinen „lieb und nett sein“ zu müssen. „Was soll derjenige denn von mir denken, wenn ich mich jetzt so anstelle“ – oder so ähnlich. Ich nenne das „die Liebmädchenfalle“.

Dem eigenen Gefühl Gehör zu schenken ist etwas, das man erst mit zunehmendem Alter lernt. Daher ist es umso wichtiger, die Signale zu kennen, um reagieren zu können. Leider trauen sich Betroffene oft nicht, über das Geschehene zu reden. Mit diesem Artikel möchte ich daher für das Thema sensibilisieren.

Es war einmal …

Vorab eine Geschichte, die sich so oder so ähnlich schon tausendmal zugetragen hat. Namen und Abläufe sind frei erfunden:
Die 14 jährige Sandra war mit ihren Eltern an der Ostsee. Die Eltern saßen mit Freunden beim Kaffee. Da ihr langweilig war, ging sie nach draußen, setzte sich auf eine Bank und starrte aufs Meer. Plötzlich setzte sich ein junger Mann Ende zwanzig neben sie.

Zuerst erschreckte sie sich ein bißchen, da sie ihn gar nicht hatte kommen hören. Aber da er freundlich lächelte und „hallo“ sagte, unterdrückte sie ihren ersten Impuls, aufzustehen und zu gehen. Was sollte er denn von ihr denken, wenn sie „so unhöflich wäre“? Er streckte die Hand aus „Ich heiße Thomas. Uns beiden ist wohl gleichermaßen langweilig. Sitzt Deine Familie auch beim Kaffee? Ein Glück haben wir uns getroffen. Zusammen ist schon weniger langweilig, oder?“

Intuitives Unwohlsein

Auch wenn sich Sandra instinktiv fragte, wieso ein so viel älterer Mann sich für sie interessieren sollte, war sie froh sich nicht mehr alleine langweilen zu müssen. „Ja, die sitzen mit ihren doofen Freunden beim Kaffee. Ich kann die Freunde nicht leiden“. „Das kann ich mir vorstellen. Was will ein so cooles Mädchen wie Du auch beim drögen Kaffeetrinken. Du hast bestimmt nur ganz tolle Freunde“, sagte er mit einem charmanten Lächeln.

Sandra fühlte sich geschmeichelt

Sandra fühlte sich geschmeichelt und auch ein bisschen erwachsen. Magst Du ein Eis? Ich gebe eins aus. „Nein, danke. Ich hatte Kuchen“. „Ach komm, ein Eis geht immer. Ich hol uns eins“. Er stand auf, ging zum Kiosk gegenüber und holte zwei Eis. Während sie aßen, nahm er das Gespräch wieder auf. „Ich hab ein Boot hier. Naja, eigentlich gehört es einem Freund. Den kenne ich schon seit meiner Kindheit. Er ist gerade im Ausland und ich darf es benutzen. Es ist zwar alt, aber ich mag es ganz gerne. Magst Du es mal sehen?“.

Sandra zögerte

Sandra zögerte, denn ihre Eltern hatten ihr immer eingebläut, nicht mit Fremden zu gehen. „Nein danke. Lieber nicht“. „Ach, Du bist wohl doch nicht so cool wie ich dachte. Da hab ich mich wohl getäuscht. Schade. Naja, mein Eis hast Du gerne genommen und jetzt lässt Du mich hier so stehen“, sagte er in gekränktem Ton und schaute sie traurig an.

Oh je, jetzt hatte sie ihn traurig gemacht. Und nicht cool zu sein, das wollte Sandra jetzt auch nicht auf sich sitzen lassen. Außerdem kannte sie ihn ja irgendwie schon ein bißchen. Und was sollte schon passieren? „Naja, mal kurz anschauen kann ich ja. Ist es weit?“. „Ne, hier gleich um die Ecke. Wir schauen es kurz an und kommen sofort wieder her. Versprochen“. Sie gingen zum Bootsschuppen. Er ging mit ihr hinein.

Glück im Unglück

Sandra hatte Glück im Unglück. Eine ältere Dame, die das Ganze zufällig beobachtet hatte, war ihnen gefolgt. Ihr kam das Ganze komisch vor – älterer Mann mit jungem Mädchen. Ihrem beherzten Eingreifen war es zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert ist.
So oder so ähnlich spielen sich derartige Szenen ab.

Analysiert man die Struktur erkennt man die Signale

1. Rapport aufbauen

Menschen fühlen sich zu Menschen hingezogen, die so sind wie sie selbst. Das nennt man Rapport. Daher kann man jemanden fast sofort gut leiden, der die gleiche Sportart betreibt wie man selbst oder sich ebenfalls für Fotografie interessiert. Ein künstliches Wir-Gefühl erschaffen bedeutet, erzwungene Gemeinsamkeiten zu kreieren, wo es gar kein „wir“ gibt. Ein Mechanismus, der von schlechten Verkäufern angewandt wird, die mal einen Halbtags NLP-Kurs absolviert haben.

In der Story ist es das angeblich geteilte Schicksal, durch das beide im gleichen Boot sitzen. „Uns beiden ist wohl gleichermaßen langweilig. Sitzt Deine Familie auch beim Kaffee? Ein Glück haben wir uns getroffen. Zusammen ist schon weniger langweilig“. Wobei die Familie des Mannes irgendwo ist, nur nicht in einem Café um die Ecke. Und langweilig ist ihm ganz sicher auch nicht. Denn er ist auf der Jagd.

2. Vor Charme sprühen

Wir alle lieben charmante Menschen und sind empfänglich für Nettigkeiten. In der genannten Geschichte verfolgt der Täter mit der Nettigkeit aber nur ein Ziel: das Opfer gefügig zu machen. Denn der Kontext spielt hier eine große Rolle. Älterer Mann überschüttet ihm unbekanntes junges Mädchen mit Komplimenten. Das hat per se schon etwas Ungesundes und sollte hellhörig machen. Auch in Reiseforen lese ich immer wieder von Geschichten, in denen sich Ahnungslose haben einlullen lassen. Hierbei ging es meist um Geld.

Wichtig: Nicht jeder der Böses im Schilde führt, wirkt auf den ersten Blick böse. Und nicht jeder der charmant ist, führt etwas im Schilde. Zum Glück. Aber viele Täter sind geschickte Manipulatoren, die in der Lage sind ihre Opfer ganz charmant und geschickt einzuwickeln. Dadurch schenken die späteren Opfer ihrem ersten Impuls kein Gehör mehr, denn sie denken, „Och, der ist doch eigentlich ganz nett. Ich bilde mir das nur ein“.

Goldene Regel: wenn sich etwas komisch anfühlt ist es das meist auch! Schenken Sie sich Gehör. Sie sind es sich wert.

3. Detailreiche Ausschmückungen

Detailreiche Ausschmückungen sind fast immer ein Indiz für erfundene Geschichten. Der Erzählende zweifelt vermutlich selbst an seiner Glaubwürdigkeit und will mit vielen Details die Wahrhaftigkeit der Geschichte bezeugen. Gilt auch für Business-Verhandlungen und Geschichten, wenn der Partner zu spät zur Verabredung kommt.

Ausnahmen mögen die Regel bestätigen – manche Menschen erzählen einfach sehr langatmig – aber in der Regel ist Detailreichtum ein guter Indikator für Schwindel. Die Geschichte mit dem Boot des Freundes ist einfach zu sehr ausgeschmückt um wahr zu sein. Ein guter Indikator für faule Deals im Business ist übrigens die Frage „How great is your hunger?“. Achten Sie mal drauf.

4. Ungefragte Charakteranalysen

„Was will ein so cooles Mädchen wie Du auch beim drögen Kaffeetrinken. Du hast bestimmt nur ganz tolle Freunde“. Der Fremde charakterisiert das Mädchen ungefragt. Später nagelt er sie auf diese Charakterzüge fest. „Ach, Du bist wohl doch nicht so cool wie ich dachte. Da hab ich mich wohl getäuscht“. Das kratzt am Ego.

Die meisten von uns würden in dieser Situation beweisen wollen, dass wir eben doch cool sind. Das macht diesen Trick so perfide. Wir wollen gut dastehen, selbst wenn das Gegenüber für unser Leben völlig irrelevant ist.

5. Künstlich erzeugte Schuld – die klassische Liebmädchenfalle

„Naja, mein Eis hast Du gerne genommen und jetzt lässt Du mich hier so stehen“. Es wird eine künstlich erzeugte Schuld für eine vorab erbrachte Leistung erschaffen und auf angebliches Fehlverhalten hingewiesen. Diese Schuld wird jetzt eingefordert und angebliche Unhöflichkeit mehr oder weniger subtil angeprangert. Das auch noch mit traurigem Gesichtsausdruck.

Wie manipulativ kann man noch sein? Ein Mechanismus der bei Frauen generell sehr gut zieht. Als junger Mensch mit noch wenig Lebenserfahrung ist man dem erst recht hilflos ausgeliefert. Ich nenne das die Liebmädchenfalle. Frauen werden dazu erzogen zu gefallen und „lieb“ zu sein.

Ein Verhaltensmuster, dass in kritischen Situationen verhängnisvolle Auswirkungen haben kann. Don’t be a victim!! Seien Sie ein böses Mädchen. Auch im Alter noch. Denn dieser Liebmädchenfallen- Mechanismus wird auch später noch gerne betätigt. Auch im Business. Gerne ausgeübt durch ältere Herren. Damit muss jetzt mal endlich Schluss sein!

6. Das unerbetene Versprechen

„Wir schauen es kurz an und kommen sofort wieder her. Versprochen“. Versprechen, die so aus dem Nichts völlig unerbeten gegeben werden, beinhalten sehr oft eine Lüge. Der Täter will das Opfer in Vertrauen und falsche Sicherheit einlullen. Denn das Versprechen ist keinen Pfifferling wert und wird so schnell gebrochen, wie es gegeben wurde.

Widerfährt Ihnen eine derartige Aussage im Business-Kontext, lassen Sie sich alles schriftlich bestätigen und ziehen Sie einen Anwalt hinzu. Ich wette, in 95% der Fälle wird Ihr Gegenüber Sie als „kleinkariert“ und „überängstlich“ darstellen oder Sie sonstwie von Ihrem Vorhaben abbringen wollen. Wetten?

7. Das Überhören des Wortes „nein“

Nein ist ein vollständiger Satz! Ein Nein ist ein Wort, das absolut nicht verhandelbar ist. Egal in welchem Zusammenhang. Gibt man nach, gibt man auch gleichzeitig die Macht über den eigenen Willen aus der Hand. Die Grenzen verschieben sich danach immer weiter. Zu Ihren Ungunsten. Diesen Mechanismus bekommt man auch sehr schön in Pferde-Management-Trainings vor Augen geführt. Pferde sind Meister darin, einem den Spiegel vors Gesicht zu halten und die Grenzen der Macht peu a peu zu verschieben.

Zuerst steigt dabei ein Testballon. In der genannten Geschichte lief das so ab: „Ach komm, ein Eis geht immer. Ich hol uns eins“. Der Mann überhört das „Nein danke, ich hatte Kuchen“ völlig und setzt seinen Willen durch. Damit hat er Erfolg. Das ist der erste Schritt um den Widerstand des potentiellen Opfers abzuchecken und zu brechen. Da Sandra das Eis widerstandslos isst, hatte er schon den Fuß in der Tür. So einfach geht das.

Werden Sie misstrauisch

Wenn jemand Ihr „nein“ überhört, sollten Sie immer misstrauisch werden! Keine falsche Höflichkeit oder faule Kompromisse. Egal in welchem Kontext. Jemand der respektvoll mit Ihnen umgeht, respektiert Ihr nein. Fragen Sie ruhig: „Welchen Teil von „Nein“ hast Du nicht verstanden?“. Das „jetzt sei doch nicht so kratzbürstig/ unfreundlich/ unentspannt“ das Ihr Gegenüber erwidern wird, können Sie dann getrost überhören. Das sind reine Machtspielchen.

Wichtig: Die Muster sind im Kontext und in Ihrer Gesamtheit zu betrachten

Alle der genannten Muster kommen auch in unserem ganz normalen Alltag vor und wir nutzen sie teilweise selbst. Wir überhören dann das nein des Partners, wenn wir etwas unbedingt wollen mit den Worten „ach komm schon, jetzt sei doch nicht so“. Wer da ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Beobachten Sie sich mal.

Auf den Kontext kommt es an. Wie gesagt, fremder älterer Mann spricht junges Mädchen an oder der unglaublich schicke Typ eine alleinreisende Touristin (Gigolo-Falle).

Kommen die Muster gemeinsam in einer einzigen Interaktion vor, sollten bei Ihnen in jedem Fall alle Alarmglocken schrillen. Und, wie ich nicht müde werde zu sagen:

Wenn sich etwas komisch anfühlt, ist es das auch!

Das kann man tun

Es gibt leider nicht DIE EINE goldene Regel im Umgang mit Manipulatoren. Wie gesagt, es kommt auf den Kontext und die Konstellation der Personen an. Nicht alle der genannten Muster werden in böser Absicht eingesetzt, sondern sind auch Teil unseres ganz normalen Alltags. Nicht jeder Mensch der Ihnen ein Kompliment macht, hat böse Absichten. Was ich raten würde:

1. Mut zur Unhöflichkeit

Wenn ich einen Tipp geben dürfte ist es dieser: Mut haben „unhöflich“ zu sein. Wobei „unhöflich“ nur ein Label ist, das meist von außen aufgedrückt wird. Als „liebes Mädchen“ lebt es sich einfach gefährlich. Seien sie so böse wie es für Ihre Sicherheit angemessen ist.

2. Nein sagen wieder lernen

Nein sagen und Ihren Standpunkt laut zu vertreten fällt Ihnen schwer? Das kann ich verstehen. Schließlich wurden Frauen sehr lange in diesem Liebsein-Modus sozialisiert. Ich plädiere hier nicht dafür, als Rüpel durch die Welt zu gehen. Gute Manieren sind in meinen Augen die Basis gelungener zwischenmenschlicher Interaktion. Einfach den eigenen Standpunkt in aller Klarheit zu vertreten. Höflich und bestimmt. Laut „nein“ zu sagen will wieder gelernt werden. Siehe auch „Nein ist ein vollständiger Satz“.

Let’s make #METOO history!

In diesem Sinne, allzeit eine gute und sichere Zeit.

Ihre Ute Schneider